Kapellmeister, Komponist, Dichter * 13. 1. 1690 Grünstädtel bei Schwarzenberg (Erzgebirge), † 27. 11. 1749 Gotha.
Nach erstem Musikunterricht durch den Vater wurde S. seit 1703 auf dem Lyzeum in Schneeberg von Christian Umblaufft und danach am Gymnasium in Gera vom gfl. Kapelldirektor →Emanuel Kegel (1655–1724) musikalisch ausgebildet. Hier kam er auch erstmals mit höfischer Musik in Kontakt. 1707 immatrikulierte er sich auf Wunsch seiner Eltern an der Univ. Leipzig zum Theologiestudium. Dieses und seine lebenslange intensive Beschäftigung mit der Literatur legten den Grundstein dafür, daß S. später den weitaus größten Teil der von ihm vertonten Opern- und Kantatentexte selbst verfaßte. Schon bald nach seiner Ankunft in Leipzig trat er in das 1702 von →Georg Philipp Telemann gegründete und nun unter der Leitung von →Georg Melchior Hofmann (1679–1715) stehende Collegium musicum ein. Dort pflegte er z. T. über Jahrzehnte währende Bekanntschaft mit Musikern wie →Johann Friedrich Fasch (1688–1758) oder →Georg Pisendel (1687–1755). 1710–12 hielt sich S. in Breslau auf, wo er mit dem dortigen Collegium musicum unter vielen eigenen Werken auch seine erste Oper „Narcissus“ zur Aufführung brachte. Weitere drei Opern, 1712 und 1713 für die Naumburger Peter-Pauls-Messe komponiert, brachten ihm die finanzielle Unterstützung der Hzgn. →Maria Amalia v. Sachsen-Zeitz (1670–1739) für eine Italienreise ein. Von Ende 1713 bis zum Herbst 1714 lernte er in Venedig, Florenz und Rom zahlreiche Komponisten kennen, u. a. Antonio Vivaldi (1678–1741), Francesco Gasparini (1668–1727), →Alessandro Marcello (1669–1747) und Johann David Heinichen (1683–1729). Nach seiner Rückkehr wandte sich S. nach Prag, wo er drei Jahre im Umfeld von Musikliebhabern wie →Ludwig Joseph Frhr. v. Hartig (1685–1735) in mannigfacher Weise musikalisch in Erscheinung trat. Anläßlich der Zweihundertjahrfeier der Reformation wurde S. 1717 nach Bayreuth zur Komposition der Kirchenmusik berufen und schuf für den dortigen Hof auch musikdramatische Werke, darunter die Oper „Diomedes“ (1718) noch während der folgenden Anstellung als Kapelldirektor am Geraer Hof (Jan. 1718–Sept. 1719). Von Gera aus bewarb er sich erfolglos nach Sondershausen, bis er Ende Nov. 1719 seine Lebensstellung als Hofkapellmeister der Herzöge von Sachsen-Gotha und Altenburg auf Schloß Friedenstein in Gotha fand.
In diesem Amt bediente S. mit außerordentlicher Produktivität nahezu alle musikalischen Gattungen seiner Zeit und hielt die Hofkapelle mittels eines klugen Um- und Ausbaues ihres Personals und Instrumentenbestandes auf einem modernen Stand. Von Gotha aus lieferte er Werke u. a. auch an die Hofhaltungen in Sondershausen, Gera und Zerbst. Von S.s Schülern traten besonders Johannes Ringk (1717–78, Marienorganist in Berlin), →Johann Gottfried Golde jun. (Hoforganist in Gotha) und →Johann Christoph Rödiger (1704–65, Sänger u. Hauptkopist S.s in Sondershausen) hervor.
S. genoß bereits zu Lebzeiten höchste Anerkennung, wurde 1739 Mitglied von Lorenz Christoph Mizlers „Correspondierender Societät der musikalischen Wissenschaften“ und stand mit zahlreichen Musikern und Musikgelehrten in brieflichem Kontakt. Ganze Jahrgänge seiner Kirchenkantaten brachten Johann Sebastian Bach in Leipzig, Johann Friedrich Fasch in Zerbst, →Johann Friedrich Schweinitz in Göttingen und →Carl Philipp Emanuel Bach in Hamburg zur Aufführung, und auch seine Passionen und Messen fanden weite Verbreitung. Stilistisch sind ital. Einflüsse unverkennbar, im Ganzen jedoch stand S. fest auf dem Boden der mitteldt. Musiktradition und handhabte auch kontrapunktische Satztechniken souverän.
Werke
u. a. Kirchenmusik:1142 Kirchenkantaten in 6 einfachen Jgg. u. 5 Doppeljgg., weitere 78 Kirchenkantaten z. Passionszeit u. anderen Anlässen (davon 608 musikal., die anderen nur textl. überliefert);
14 Missae breves, 6 Passionen (u. a. Brockes-Passion, 1725), 8 Oratorien;
– Weltl. Musik:
16 Opern (weitestgehend verschollen);
63 Serenaten, Singspiele u. Kantaten (28 überliefert);
9 Instrumentalkonzerte;
2 Sinfonien;
14 Quadrosonaten;
18 Triosonaten;
Cembalopartita, in: J. S. Bach, Clavier-Büchlein vor W. F. Bach;
Enharmon. Claviersonate, in: Musikal. Allerley, 1761;
– Schrr.:
Pract.|Beweiß, wie aus einem (…) Canone perpetuo (…) viel u. mancherley (…) Canones perpetui à 4 zu machen seyn, 1725;
Abh. vom Recitativ (Ms.);
Anltg. z. musikal. Setzkunst (Ms.);
Kurzer u. gründlicher Unterr. (Ms.);
– Autobiogr.
,in: J. Mattheson, Grundlage e. Ehrenpforte, 1740, S. 342–48;
– Verz. weiterer W u. Neuausgg.
in: MGG.
Literatur
ADB 36;
R. Eitner, Biogr.-Bibliogr. Quellenlex. d. Musiker u. Musikgel., Bd. 9, 1903;
W. Schmidt-Weiss, G. H. S. als Instrumentalkomp., 1939;
A. Fett, Musikgesch. d. Stadt Gotha v. d. Anfängen bis z. Tode G. H. S., Diss. masch. Freiburg (Br.) 1952;
W. Steger, G. H. S. ,Abh. vom Recitativ`, Diss. Heidelberg 1962;
F. Hennenberg, Das Kantatenschaffen v. G. H. S., Diss. masch. Leipzig 1965, 1976 (gekürzt);
H. Hell, Ein halbes Hundert unbek. S.Kantaten, in: Mitt. d. Staatsbibl. zu Berlin, 1993, S. 105–15;
M.-R. Pfau, Ein unbek. Leipziger Kantatenh. aus d. J. 1735, Neues z. Thema Bach u. S., in: Bach-Jb. 94, 2008, S. 99–122;
P. Wollny, ,Bekennen will ich seinen Namen` (…), Anmm. zu Johann Sebastian Bachs Rezeption v. Werken G. H. S.s, ebd., S. 123–58;
Ch. Ahrens, ,Zu Gotha ist e. gute Kapelle. . .`, Aus d. Innenleben e. thür. Hofkapelle d. 18. Jh., 2009;
MGG;
MGG²;
New Grove.
Autor Bert Siegmund
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